Das ganze im Rahmen meiner Spanisch-Offensive. Sprache hören, Sprache sehen; Sprache verstehen. Woher der Heißhunger kommt lässt sich nicht sagen. Erst letztens hab ich mich dabei erwischt, wie ich schon zum dritten Mal die Woche einen ganzen Sack voll Croissants, Nußschnecken, Apfeltaschen, glacierten Ananas-Tartes, Vanillekrapfen und Dulce-de-Leche-Bomben kaufe. Das Zeug gibts tatsächlich zum Kilopreis (!) - egal was es ist. Meine nachmittäglichen Mate-Pause arten zu einem einzigen Zuckerschock aus.
Das ich noch immer den Mund oft nicht aufkriege liegt allerdings weniger daran, dass er mit Zuckerguss verklebt ist, sondern dass ich nichts zu sagen weiß ... aber dagegen gibt's was (allerdings nicht von ratiopharm -_-): Die Sprachschule hat begonnen!
Das Lehrpersonal ist unglaublich nett, kompetent und zielstrebig. Es geht viel Weiter. Der Sprachkurs tut mir gut. Es keimt wieder Hoffnung auf. Der Kurs ist enorm anstregend und intensiv, aber hilfreich
Was das Fernsehen noch zu bieten hat? Argentinische Telenovelas mit operierten Schönheiten, viel Witz und keinerlei Realitätsanspruch sowie jede Menge News:
im "Barrio" La Boca wird den Leuten für ein paar Pesos von Paco-Süchtigen (Paco; Kokainabfallprodukt - bösartig, zerstörerisch, höchst süchtigmachend, billig und epidemisch im Raum Buenos Aires) in den Rücken geschossen, zwei "Barrios" weiter - in Flores - wurde einem Taxifahrer von Räubern die Kehle aufgeschlitzt. Im Nobelviertel Recoleta hat der Gärtner - wer sonst - eine Tochter des Geldadel (heimliche Affäre) ermordet. Im nahegelegenen Mega-Badeort Mar del Plata (sozusagen das "Freibad" von Buenos Aires) wurde kistenweise Ecstasy und LSD sichergestellt. Die Region Salta ertrinkt im anhaltenden Regen und es ist wiedermal ein hochrangiger Polizeibeamter in einen Korruptionsfall verwickelt. Allein in den letzten zwei Tage sind auf Argentinies Straßen 5 Reisebusse verünglückt, und in Buenos Aires - Capital Federal - haben zwei "Colectivos" (Busse des öffentlichen Verkehrs) Häuserblocks gerammt. Insgesamt viele Tote. Soviel zur (Verkehrs)Sicherheit.
Was beim Fernsehen auffällt: die Werbung. Verglichen mit Zuhause sind die Anzahl und Vielfalt der Werbepausen spärlich. Es geht im Grunde nur um das eine: Milch. Actimel, Activia (den Spot mit der mageren Bloden hab ich inzwischen gute 20 mal gesehen, und hab noch immer nicht verstanden, was sie mir sagen will -_-), Casan Crema, Danonito, Nivea Body Milk. Keinerlei Spots für teure Kosmetikprodukte, Damenhygieneprodukte, Autos und Geiz-ist-Geil-High-Tech.
Das Ganze spiegelt gut die wirtschaftliche Lage des Landes wieder: Für gewisse Sachen ist einfach (noch) kein Geld (mehr) dar. Der Crash des Peso im Jahr 2001 hat dem Land stark zugesetzt. Es wird besser, aber vielerorts sind die Wunden noch sichtbar: die müllsammelnden "Cartoneros", viele Leute leben und schlafen in den Straße, Bettler in der U-Bahn, halbtote Autos auf den Straßen, heruntergekommene öffentliche Einrichtungen, Politik-Frust in der Bevölkerung.
In der Sprachschule diskutiere ich mit den Professorin viel über die schlimme Zeit kurz nach dem Peso-Crash, die Korruption und das ewige Leid der argentinischen Bevölkerung, die sich
soviel bieten lassen musste in ihrer jüngeren Geschichte. Es ist tragisch und unglaublich was sich vor nicht allzulanger Zeit abgespielt hat ...
Raus aus der Couch!
... rein in die U-Bahn und quer durch die Stadt. Immer wieder nett. Im gigantischen "Abasto Shopping" wandelt man durch eine Wunderwelt des Konsums, die Avenida de Mayo ist immer wieder gut für einen Freiluftkaffee, wenn ich genug von Müll und Chaos hab tut's ein Spaziergang durch Puerto Madero ... Subte ist auch immer wieder ein Erlebnis. Manchmal auch ein böses - letztens versuchte doch glatt so ein Typ, was aus meiner Tasche zu KLAUEN!!
An diesem Tag hatte ich natürlich alles dabei: Kredit- und Bankomatkarte, Pass, viel Geld, Fotoapparat.
Gott sei Dank rechtzeitig bemerkt. Man muss aufpassen ... wenig später lauf ich in Abasto in ein Werbeplakat welches grausame Erinnerungen weckt. UP. Der Schrecken an diesem Tag ist perfekt.
Es ist Sommer und alle die es nicht an die Küste geschafft haben (welche in dieser Zeit ein vorübergehendes Bevölkerungswachstum von 400% erlebt) müssen eben in der Stadt das Beste draus machen. Es wird - zusätzlich zum anhaltenden Sommerschlussverkauf - auch einiges geboten.
Wo? Im pittoresquen San Telmo zum Beispiel. Ein eigenartiger "Barrio". Es ist Viertel der Touristen, Bohéme, linken Studenten, Gastronomen, Tango-Fetischisten, Wohlhabenden mit extravaganten Wohnansprüchen sowie sozial Schwachen - alles auf einmal, überall. Die Sicherheit ist je nach Straßenecke unterschiedlich -_-
In San Telmos Parque Lezama finden derzeit laufend Open-Air-Konzerte Stadt. Das Ambiente ist toll, die Stimmung ausgelassen, die Party genial. Gemeinsam mit der WG und anderen Freunden - eine gemischte Gruppe aus Kanadiern, Franzosen, Argentiniern und Ösis - verbringen wir dort einen tollen Abend.
Tage später gibts eine bizarre club-Nacht im Roxy Club. Das ganze enpuppt sich als eine Mischung aus Las Vega Varieté, Techno Party, Street Dance Battle.
Das kann jedoch nicht alles sein. Also wird geplant, gebucht, gewerkt ... und es geht auf in eine Stadt, welche von historischer Bedeutung für die nationale Identität der ÖSTERREICHER ist, in DIE Stadt, welche seit über 30 Jahren die schmachtende Fußball-Seele Österreichs heilt - CORDOBA!
Was ich und Robert dort machen? So genau wissen wir das derzeit auch nicht, aber das Ziel nennt sich COSQUIN ROCK. Eines der größten Festivals Argentinien. Wenn wir heil zurückkommen, gibts vielleicht eine Fotostrecke ... ;-)
In der WG soweit alles okay. Ich hab jetzt eine anderes Zimmer bekommen, nachdem Linda ausgzogen ist. Umso besser. Noch mehr Platz und noch mehr Aussicht. Nachdem Linda bald fährt, gibts jetzt auch noch ein paar Abschiedsparties ... sehr nett, spätenstens wenn ihre Kollegen spontan zur Gitarre greifen, oder alle im Wohnzimmer zu Mexico-Tunes tanzen ;-)
Letzens wurde wieder mal gemeinsam gekocht. Um 23 Uhr fangen wir an zu kochen. Alle Radios sind betriebsunfähig also wird der PC mit den mickrigen Platstikboxen im Wohnzimmer angeworfen. Soundtrack von "Die wunderbare Welt der Amelie".
Die Boxen überschlagen sich förmlich bei dem Versuch, den verzerrten Klang in die Küche tragen. In der Abwasch STAPELT sich das Geschirr der letzten 3 Tage. Die Tomaten schneide ich dort wo Platz ist, zwischen Gläsern mit eingetrockneten Resten von Rotwein, der schmierigen Bratpfanne und einem Topf halbvoll mit Reis und Einweichwasser. Aus dem überfüllten Kühlschrank rinnt Kondenswasser; die Luftfeuchtigkeit macht dem Gerät - aus einer Zeit in der Männer noch jagdten und Frauen Beeren pflückten - zu schaffen. Beim Anzünden des Gasherds verbrenn ich mir beinahe die ganze Hand ... und steht der halbleere Tetrapack Multivitaminsaft der sich bläht, nicht schon seit meiner Ankunft auf dem Tisch herum? Draußen heulen die Sirenen und brummt der niemals endende Verkehrsstrom der Avenida 9. de Julio. Jeder bekommt ein Teller aus einer anderen Epoche und ein Glas unterschiedlichen Fassungsvermögens. Den Salat gibts mit "Sprung in der Schüssel".
Jeder der (allein in der Küche) 5 Aschenbecher in der Küche geht beinah über.
Lukas, der paranoide, "bakteriophobe" Alltagsneurotiker müsste an dieser Stelle an einem spontanem Herz-Lungenversagen sterben ...
...aber da ist sie wieder: "Buena Onda"
Die "Buena Onda" dieser Stadt; dieser Stadt die niemals schläft, niemals stillsteht, keine Ruhe findet. Diese unverwüstliche Stadt, in der es immer genug "drama" gab, als das sie noch eines machen bräuchte.
Die "buena onda" dieser Stadt, die relaxt, enspannt, überrascht und immer wieder erfrischt.